Adolf Busemann (de)

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Adolf Busemann (vollständiger Name: Adolf Hermann Heinrich Busemann, Dr. phil. (Göttingen), Dr. med. h. c. (Marburg), (15.5.1887-5.6.1967) war Psychologe und Lehrer und beschäftigte sich mit dem Aktionsquotient.

Leben

Adolf Hermann Heinrich Busemann, Dr. phil. (Göttingen), Dr. med. h. c. (Marburg), korrespondierendes Mitglied der Deutschen Vereinigung für Jugendpsychiatrie. Geb. 15.5.1887 (Emden), gest. 5.6.1967 (Marburg). Gymnasium Northeim 1897-1906, Studium der Psychologie in Göttingen 1906-1910 (Religion, Hebräisch, phil. Propädeutik). 1910 Prüfung für das höhere Lehramt. Lehrtätigkeit in Essen, Frankenberg und Bederkesa. Dazwischen 1917/18 Kriegsteilnahme im Landsturm. 1922-1925 zunächst als Oberlehrer, dann als Seminarstudienrat in Einbeck, 1925 wegen Auflösung des Lehrerseminars in den einstweiligen Ruhestand versetzt. 1924 Promotion in Göttingen, ab 1925 Greifswald, 1926 Habilitation in Greifswald. Bis 1928 Privatdozent (Medizinische Fakultät), danach beurlaubt, um an anderen Institutionen zu unterrichten (Prof. an den Pädagogischen Akademien Rostock, Breslau und Kiel). Ab 1932 wieder Privatdozent in Greifswald; danach „auf Grund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums 1934 in das Amt eines Volksschullehrers versetzt“ (Mail v. Barbara Peters, Archiv der Universität Greifswald, 18.6.2007). WS 1934/35 und SS 1935 beurlaubt. 1937 aus gesundheitlichen Gründen in den dauernden Ruhestand versetzt. Übersiedelung nach Marburg; Personalgutachter beim Heer, 1942 aus dem aktiven Wehrdienst entlassen. 1943-1945 Psychologe am Hirnverletztenlazarett in Marburg. WS 1946/46 – SS 1948 Lehrveranstaltungen in Psychologie an der Universität Marburg. Bis 1954 Unterricht im Rahmen der „Lehrgänge zur Ausbildung von Sonderschullehrern“ in Marburg. (Quellen: s. „Über Busemann“.)

Bedeutung für die Quantitative Linguistik

Das in der Quantitativen Linguistik am meisten beachtete Thema Busemanns ist der Aktionsquotient (Busemann 1925; 1948: 116, 139), der die Zahl der Verben und der Adjektive eines Textes zueinander in Relation setzt; dabei gilt ein Text, bei dem die Verben überwiegen, als aktiv und ein Text mit mehr Adjektiven als Verben als deskriptiv. Busemanns Daten beruhen hauptsächlich auf Niederschriften, das sind „provozierte schriftliche Selbstdarstellungen von rund 4000 Kindern und Jugendlichen“ (Busemann 1926: 28); hinzu kommen einige spontansprachliche Quellen. Eine Diskussion der Probleme des Aktionsquotienten und Vorschläge für eine Verbesserung findet sich in Altmann (1978; 1988: 18ff.), eine weitere Behandlung in Altmann & Altmann (2005: 86-88). Tuldava (2005: 371, 376f.) reiht Busemanns Arbeit in die Forschungsgeschichte ein und geht auf die Arbeiten der Nachfolger ein. Man findet bei Busemann aber noch weitere Themen, die für die Quantitative Linguistik von Bedeutung sind. So betrachtet er in (Busemann 1925: 90ff.) die Entwicklung der Wortlänge, indem er die relativen Anteile der Ein-, Zwei-, Drei- und Mehrsilber an der Sprachproduktion von Kindern bis zum Alter von 20 Jahren untersucht. Meist bleiben die Beobachtungen getrennt für die einzelnen Wortlängen. Aber für einen Datensatz zu den 10- bis 15-jährigen Jugendlichen nennt er Werte für die Entwicklung der durchschnittlichen Wortlänge. Seine Angaben beruhen auf 163 Niederschriften einer Mädchenschule in Oldesloe mit 16000 Wörtern; die festgestellten Schwankungen sind bei nur sechs Messwerten zu groß. Ergänzt man die Messungen jedoch um eines realistischen Wert für Erwachsene, lässt sich das logistische Modell

(1) <math>p=\frac{c}{1+ae^{-bt}}</math>

(Altmann 1983: 61) mit sehr gutem Erfolg anpassen (Best 2006: 43).

Ein weiteres Thema ist Busemanns Untersuchung zur Entwicklung des Adjektiv-Wortschatzes, den Jugendliche benutzen, um sich selbst zu charakterisieren (Busemann 1926, 1948: 150). Diese Untersuchung des Ausbaus eines Wortschatzsegments lässt sich ebenfalls sehr gut mit dem Wachstumsgesetz (1) modellieren, wie die folgende Tabelle 1 und die Graphik dazu zeigen. Dabei sind a, b und c die Parameter des Modells; D ist der Determinationskoeffizient, der mit D ≥ 0.80 eine gute Übereinstimmung des Modells mit den Beobachtungen bestätigt:

Tabelle 1 Zuwachs neuer, vorher nicht benutzter Adjektive zur Selbstcharakterisierung von Jugendlichen (n. Busemann 1948: 150)

Busemanntabelle.jpg

Busemann.jpg

Graphik: Zuwachs neuer, vorher nicht benutzter Adjektive zur Selbstcharakterisierung von Jugendlichen

Busemann hat noch eine Reihe weiterer Themen statistisch bearbeitet; so kommt vor allem zur Sprache, welche Themen die Kinder und Jugendlichen in den Niederschriften ansprechen und wie sich das mit dem Alter ändert (Busemann 1926). Auch in der Milieukunde findet man statistische Charakterisierungen, wobei Sprachliches aber nur am Rande auftaucht (Busemann 1927: 182). Sprachliche Daten werden dabei nicht immer so dargeboten, dass man sie für eine Modellierung der Erwerbsprozesse gut nutzen könnte. In Krisenjahre etwa stellt die Beobachtungen der Scupins zum Wortschatzzuwachs ihres Sohnes mit dem arithmetischen Mittel für Vierteljahreszeiträume in ganzzahligen Werten zusammen (Busemann 1953: 38); der tatsächliche Wortschatz ist daher nur näherungsweise zu bestimmen. Busemanns Werk ist von statistischen Erhebungen zur Entwicklung von Kindern und Jugendlichen geprägt, wobei speziell sprachliche Themen außer ganz zu Anfang nicht dominieren. Charakteristisch für Busemanns spätere Einstellung sind aber resignative Bemerkungen. So wendet er sich gegen die Experimentelle Psychologie, die „nunmehr behauptet, die ganze Psychologie zu sein, und der nicht exklusiv experimentell bzw. statistisch arbeitenden den Namen der Psychologie abstreitet und das, was so ausgeschlossen wird, der Philosophie zuweist“ und fährt fort: „Eine hervorragende Sachverständige der Psychologischen Statistik hatte wohl guten Grund, in ihrem bekannten Lehrbuch zu betonen, daß die Statistik das Denken nicht überflüssig mache“ (Busemann 1967: 7).

Literatur

  • Altmann, Gabriel (1978). Zur Verwendung der Quotiente in der Textanalyse. Glottometrika 1, 91-106.
  • Altmann, Gabriel (1983). Das Piotrowski-Gesetz und seine Verallgemeinerungen. In: Best, Karl-Heinz, & Kohlhase, Jörg (Hrsg.), Exakte Sprachwandelforschung:. 54-90. Göttingen: edition herodot.
  • Altmann, Gabriel (1988). Wiederholungen in Texten. Bochum: Brockmeyer.
  • Altmann, Vivien, & Altmann, Gabriel (2005). Erlkönig und Mathematik. [1]
  • Best, Karl-Heinz (2006). Gesetzmäßigkeiten im Erstspracherwerb. Glottometrics 12, 39-54.
  • Busemann, Adolf (1925). Die Sprache der Jugend als Ausdruck der Entwicklungsrhythmik. Sprachstatistische Untersuchungen. Jena: Verlag von Gustav Fischer. Teildruck in: Helmers, Hermann (Hrsg.) (1969), Zur Sprache des Kindes (S. 1-59). Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. (Erweiterung der Diss.)
  • Busemann, Adolf (1926). Die Jugend im eigenen Urteil: eine Untersuchung zur Jugendkunde. Langensalza: Beltz.
  • Busemann, Adolf (1927). Pädagogische Milieukunde. I. Einführung in die Allgemeine Milieukunde und in die Pädagogische Milieutypologie. Halle, Saale: Schroedel.
  • Busemann, Adolf (1948). Stil und Charakter. Untersuchungen zur Psychologie der individuellen Redeform. Meisenheim/ Glan: Westkulturverlag Anton Hain.
  • Busemann, Adolf (1953). Krisenjahre im Ablauf der menschlichen Jugend. Ratingen: Aloys Henn Verlag.
  • Busemann, Adolf (1967). Weltanschauung in psychologischer Sicht. Ein Beitrag zur Lehre vom Menschen. München/ Basel: Ernst Reinhardt Verlag.
  • Tuldava, Juhan (2005). Stylistics, author identification. In: Köhler, R., Altmann, G. & Piotrowski, R.G. (2005) (Hrsg.), Quantitative Linguistik. Ein internationales Handbuch:. 368-387. Berlin/ N.Y.: de Gruyter.
  • Welker, Meinrad (Bearb.) (2004). Lexikon Greifswalder Hochschullehrer 1907-1932. Bad Honnef: Bock. (= Buchholz, Werner (Hrsg.), Lexikon Greifswalder Hochschullehrer 1775-2006. Bd. 3.)

Anm.: Die Liste enthält nur die Arbeiten Busemanns, die hier zitiert wurden. Seine Bücher sind leicht zu bibliographieren und in vielen Bibliotheken vorhanden.

Über Busemann

  • Adolf Busemann 70 Jahre alt. Bildung und Erziehung 10, 1957, H. 6, 370-371.
  • van Dieken, Jan (1968). Professor Adolf Busemann. Friesische Blätter, Folge 9, September 1968, 5. Jahrgang.
  • Hetzer, Hildegard (1967). Zum 80. Geburtstag von Professor Dr. Adolf Busemann. Forscher und Lehrer im Dienst bedrohter und behinderter Kinder. Lebenshilfe 6, H. 3, 113-114.
  • Lexikon Greifswalder Hochschullehrer 1775-2006. Hrsg. v. Werner Buchholz. Bd. 3: Lexikon Greifswalder Hochschullehrer 1907-1932. Bandbearbeiter: Meinrad Welker. Bad Honnef: Bock 2004.

Quelle

Karl-Heinz Best: Glottometrics 16, 2008, 124-127